Na, da hat sich der Spiegel ja was Tolles ausgedacht. Vermutlich, weil ZEIT online, FAZnet und die Süddeutsche so was haben, will das Magazin jetzt auch mitmischen.
SPIEGEL ONLINE wird noch debatten- und meinungsfreudiger: Ab sofort werden sechs Kolumnisten jeweils von Montag bis Samstag ihre ganz persönliche Sicht auf Themen der Zeit präsentieren – kontrovers, spannend, unterhaltend.
Natürlich machen sie nicht etwas so Mainstreamiges wie Blogs, nein, beim ehemaligen Nachrichtenmagazin heisst das vornehm altmodisch ‚Kolumne‘. Gute Idee, eigentlich, ein bißchen Bewegung schadet nicht, und das mit der Meinungsfreude ist bei den Hamburgern ja schon etwas länger her. Die Auswahl der Kolumnisten bzw. die getroffene Themenzuordnung ist allerdings bemerkenswert:
- Montag: Jan Fleischhauer, Politik
- Dienstag: Steffi Kammerer, gesellschaftliche Trends
- Mittwoch: Sascha Lobo, Entwicklungen im World Wide Web
- Donnerstag: Jakob Augstein, Politik
- Freitag: Georg Diez, Welt der Feuilletons
- Samstag: Sibylle Berg, „Fragen Sie Frau Sibylle“
So wollen wir unsere Nachrichten, Analysen, Reportagen und Hintergründe um eine besondere Note anreichern.
Die besondere Note besteht dann wohl auch in der Vergabe von Themen nach Geschlecht. Das mag Zufall sein, ist aber bestens geeignet, einen nicht unerheblichen Teil der Webfrauen gegen das Blatt aufzubringen. Annina von Girls can blog hat das z.B. zum Anlass genommen, einen offenen Brief an Sascha Lobo zu schreiben. Besonders unglücklich ist die Bezeichnung der Kolumne von Sibylle Berg, auch, wenn man annehmen darf, daß der Titel ironisch gemeint ist.
Eigentlich dürfte man nach allen im letzten Jahr geführten Debatten voraussetzen, daß solche Veröffentlichungen mit ein wenig mehr Fingerspitzengefühl geplant werden. Vielleicht sind die Diskussionen im Netz aber auch spurlos am Spiegel vorbeigegangen und es ist nicht bis dorthin durchgedrungen, daß es Bloggerinnen gibt, die sehr wohl in der Lage sind, im Rang einer Kolumnistin Texte über Politik oder Wirtschaft zu verfassen. Man könnte auch vermuten, daß die familienministeriellen Aussagen erneut ein Frauenbild statuiert haben, das längst aus der Mode gekommen ist. Wie auch immer –
Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.
Wir sind gespannt, ob es so konventionell wird, wie es sich anhört. Auch aus schlechten Beispielen kann man bekanntlich lernen.
- Saschas Antwort
- Ralf Schwartz: Das „Sturmgeschütz der Demokratie“ geht wiedermal nach hinten los. Dort gibt es weitere Links zum Niedergang des Spiegel.
VonFernSeher
12. Januar 2011 at 19:27
Du willst aber jetzt nicht den einzelnen Kolumnistinnen und Kolumnisten ihr Geschlecht vorwerfen, oder?
Mir erscheint die Auswahl dem Spiegel entsprechend und daher logisch. Und warum Kolumne (Genre) und Blog (Medium) dasselbe sind, verstehe ich auch nicht.
opalkatze
12. Januar 2011 at 19:41
@VonFernSeher
Nö, aber die piefige Rollenverteilung seitens der Redaktion.
Nein, natürlich ist es nicht dasselbe. Aber die Holzpresse versucht mit solchen Formaten, zeitgemäß zu sein, weshalb dort auch ganz überwiegend jüngere Autoren über ‚moderne‘ Themen schreiben. Zu zeitgemäß würde dann auch gehören, eine so dämliche Rollenverteilung im Vorfeld zu überdenken – auch, wenn es vielleicht nur danach aussieht.
VonFernSeher
12. Januar 2011 at 19:50
Ich finde es ziemlich antiemanzipatorisch, Frauen das Schreiben über „Kind und Kegel“ verbieten zu wollen. Oder anderen sie dafür zu bezahlen.
Im Gegenzug habe ich ja auch noch keinen Loblieder auf Heribert Prantl singen hören, weil er sich lieber mit Kindergeld und Asylrecht als mit der NATO beschäftigt. Heribert Prantl wird gelobt und bezahlt, weil er Ahnung hat.
Das Gleiche kann man den Spiegelkolumnistinnen und -kolumnisten doch auch erst einmal zubilligen. Wenn Sie dann nachher Quatsch schreiben, kann man sie dafür in Stücke hauen, aber doch nicht dafür, dass sie nach Kriterien der Popularität ausgesucht wurden.
Anne Roth
12. Januar 2011 at 22:18
Ich kann mich darüber nicht so richtig aufregen. Der Spiegel ist ja weder dafür berühmt, Speerspitze progressiver Bewegungen noch an sich feministisch zu sein. Ein Blick in die Redaktion, die Themen oder einfach die Frage, wie hoch der Prozentsatz von Politikerinnen ist, über die berichtet wird (im Verhältnis zu Politikern). Von nackten Covergirls noch gar nicht zu reden.
Und so sehr ich mich darüber freue, dass die Debatte über Blogs und Gender weitergeht und wächst, halte ich es für falsch zu glauben, dass das im Mainstream groß wahrgenommen würde. Da spielen schon Blogs keine große Rolle, auch wenn wir das gern andern hätten, und solche Nischenthemen erst recht nicht. Auch wenn einzelne RedakteurInnen einzelne Sachen verfolgen, können die sich sicher nicht leisten, mit sowas in der Redaktionskonferenz anzukommen.
Nichtsdestotrotz schadet natürlich nie, darauf hinzuweisen.
PS: ich finde übrigens zb bei Jan Fleischhauer für Politik ganz andere Sachen schrecklich als die Tatsache, dass er ein Mann ist ;)
opalkatze
12. Januar 2011 at 23:41
@Anne
Ich reg mich ja auch gar nicht richtig auf, nur so’n bißchen. Die ‚Aufgabenverteilung‘ hat mich einfach angesprungen, und dann musste das raus. Dafür ist ein Blog ja da.
Jeder Mainstream ist mal aus ein paar Tropfen entstanden … In jedem Fall hat sich im letzten Jahr die Wahrnehmung der Dinge, die im Netz vorgehen, massiv verändert. Die Hauptinformationen vieler Menschen kommen mittlerweile auch nicht mehr ausschließlich aus Redaktionen; beides hält an und entwickelt sich weiter. Nicht schlecht für nur ein Jahr.
Du meinst sicher, weil Jan Fleischhauer Linke so lieb hat? :]
opalkatze
12. Januar 2011 at 23:50
@VonFernSeher
Frauen können schreiben, worüber sie wollen. Männer auch. Ich finde es aber nicht zeitgemäß, auf der einen Seite ‚innovativ‘ (fürchterliches Wort) sein zu wollen und auf der anderen überholten Klischees Rechnung zu tragen.
Doch, doch, Loblieder auf Prantl in dieser Hinsicht kommen nach jedem besonders ’sozialen‘ Artikel irgendwo; natürlich auch, weil er Ahnung hat.
Es geht nicht um die Personen und nicht um Popularität – siehe oben.
VonFernSeher
13. Januar 2011 at 03:33
Moooment. 1. sind die vielleicht noch gar nicht so überholt, wie wir gerne denken möchten (immerhin scheinen sie ja noch provokant zu sein) und 2. ist es doch zumindest eine Möglichkeit, dass der Spiegel tatsächlich als Vorgabe fünf Personen mit fünf verschiedenen Themen hatte und unter den 1A- und 1B-Besetzungen diese zugesagt haben.
Emanzipatorische Loblieder auf Prantl aufgrund seiner Unprätensiösität*? Die müssen völlig an mir vorbeigegangen sein – aber ohne zu grüßen.
Dem Spiegel schon. Der verdient damit Geld. Apropos Personen und Klischees: Ich muss dann mal weiter, einen „MA in history“ hauen. Bis morgen.
*Ich weiß, dass das kein Wort ist.
Helga
13. Januar 2011 at 09:03
@VonFernSeher: Klischees funktionieren nicht über den Aufreger- sondern den Wiedererkennungseffekt. Wer Schwule als Tunten in Rosa und mit affektiertem sprechen in einer TV-Serie verwendet, will damit nicht aufregen (höchstens die Schwulen, für PR-Zwecke) sondern spekuliert bei den Normalzuschauer_innen auf „aber einige Schwule sind doch soooo!!einself!“ Schwule wären dann auch sicher nicht die Zielgruppe.
opalkatze
13. Januar 2011 at 16:11
@VonFernSeher
D’accord, was die 1A und 1B-Besetzungen angeht. Aber auch der Spiegel sollte gemerkt haben, daß bestimmte Verhaltensmuster zumindest im Umbruch sind.
Von emanzipatorischen Lobliedern hab ich nichts gesagt.
Dem Spiegel geht es natürlich darum, aber mir nicht an dieser Stelle.
Geh Chavez pros oder cons bashen, ich schau nachher mal vorbei, was Du da so anrichtest :)
opalkatze
13. Januar 2011 at 16:12
@Ralf
Hab gestern festgestellt, daß HBR Links löscht, seitdem mag ich die auch nicht mehr.
opalkatze
13. Januar 2011 at 16:22
@Helga
Danke. Das hast Du weit besser ausgedrückt, als es mir gelungen ist.
VonFernSeher
13. Januar 2011 at 19:39
@Helga
Wir wissen ja aber nicht, ob das hier der Fall war. Denn Frauen sind ja hier durchaus auch Teil der Zielgruppe. Hätte sich denn was an den Inhalten zu „Lebenshilfe“ und „Gesellschaft“, wenn eine Frau den Bereich „Netz“ oder „Politik“ übernommen hätte? Ich bin fest davon überzeugt, dass die beiden Kolumnistinnen genau das gleiche schrieben wie jetzt. (Nicht, dass nicht auch ich mal jemand anderen zum „Netz“ hören möchte als Lobo.)
Ich kann mir auch vorstellen, dass es beim Spiegel Leute gibt, die Sachen sagen wie: „Das ist mir jetzt alles irgendwie noch zu trocken. Schaut, dass ihr da noch was Leichteres reinkriegt, Mode oder Gesellschaft oder so, am besten ’n Mädel.“ Aber von vornherein, wenn man eine 2:1-Besetzung zugunsten der Männer sieht, von so etwas auszugehen, ist auch nicht wirklich fair.
Meine Aussage ist daher auch eher als Paradoxon verständlich:
Sollte ein Klischee tatsächlich überholt sein, werden wir es als solches nicht mehr erkennen. Erkennen wir es aber noch, so kann es nicht überholt sein, da es in uns noch existiert (und eine Reaktion provoziert).
@opalkatze
Ich hab es nicht mehr geschafft, war zu müde. Werde es aber heute noch nachholen.
Daniela
13. Januar 2011 at 22:18
Irgendwie verstehe ich die ganze Nummer eh nicht so ganz. SPON hat sich doch einfach nur ein paar neue Kolumnisten ins Haus geholt, die nun halt mal was schreiben dürfen. Neu an der ganzen Sache ist doch nur, dass es dazu nun eine begleitende Facebook-Gruppe gibt, in der das Volk nun anstatt im normalen Spiegel-Forum diskutieren soll. Oder habe ich da jetzt irgendwas nicht verstanden? :)
opalkatze
13. Januar 2011 at 22:25
@Danile
Mich hat die piefig-altmodische Rollenverteilung genervt.